„Wer die Welt retten will, muss die Güter retten.“ Der Hörsaal ist leicht abgedunkelt, vorne strahlt die erste Folie des Vortrags „Postwachstumsökonomie: Reparatur als Element einer Wirtschaft ohne Wachstum“. Davor bewegt sich Prof. Dr. Niko Paech. Seit er angefangen hat zu sprechen liegt die Aufmerksamkeit der knapp 200 Schüler/-innen voll bei ihm. Im Rahmen der Bildungswoche Wetter.Wasser.Waterkant.2019 haben sich die Hamburger Schüler/-innen an diesem Dienstagmorgen durch den Nieselregen auf den Weg zur Hafencity Universität gemacht, um einem der bekanntesten Vertreter der Postwachstumsökonomie zuzuhören und aktiv mitzudiskutieren. Der Umweltökonom apl. Prof. Dr. Niko Paech lehrt seit 2016 an der Universität Siegen im Studiengang „Plurale Ökonomik“.
Mit Gestik unterstützt beginnt er anhand einer halben Folie die moderne Wirtschaft zu erklären, die durch übermäßige Produktion und Konsum geprägt sei. Die Schattenseiten würden unter anderem der Klimawandel, Artenschwunde, schädliche Emissionen, Knappheiten, Gerechtigkeitsprobleme oder Stress durch Reizüberflutung sein. Die Blicke der Schüler/-innen ruhen auf einer Grafik. Sie zeigt, dass durch ein stetiges Wachstum der Produktionsmenge an Gütern die Belastungsgrenze der Umwelt überschritten wird. Um diese wieder einzuhalten sei ein Rückgang der Produktionsmenge nötig und wir müssten unseren Lebensstil ändern. „Es geht nicht um Verzicht, sondern um den Rückbau von etwas, das zu viel geworden ist.“, so Niko Paech. Die nachhaltige Entwicklung beschreibe das Mindeste was getan werden muss, um die ökologischen Lebensgrundlagen zu erhalten. Die Postwachstumsökonomie, mit einem ausbleibenden Wirtschaftswachstum und verändertem Konsumverhalten, sei ein Teil davon.
Weiter stellt Niko Paech Verknüpfungen her: Temperaturanstieg, Klimaschutzziele, Transport, Konsum, Stress und Genügsamkeit sind nur einige der angesprochenen Themen. Immer wieder ergänzen Beispiele, Fakten und Zahlen seine Aussagen. „So ein schöner Hörsaal regt dazu an länger zu reden“, sagt Niko Paech mit dem Blick auf die Uhr und ein Grinsen breitet sich auf seinem Gesicht aus. Doch dank seiner aktiven und mitreißenden Vortragsweise wirkt es für die Schüler/-innen nicht so, als wäre schon ein Großteil der ersten Hälfte des Vortrags vorüber.
Von zentraler Bedeutung für die Postwachstumsökonomie sei die Subsistenzwirtschaft. Die Industrie müsse in eineinhalb Jahrzehnten um 50% reduziert werden und folgend müssten wir wieder mehr selbst machen. „Es geht überhaupt nicht darum wieder zurück ins Mittelalter zu kommen.“ Ein fragender Blick macht sich auf manchen Gesichtern der Zuhörer/-innen breit, woher sollen wir die inzwischen ohnehin knappe Zeit dafür nehmen? Niko Paech antwortet mit einem Szenario: Wenn weniger Güter produziert würden, gäbe es weniger Arbeitsplätze und uns stünde weniger Geld zur Verfügung. Trotzdem könnte eine Vollbeschäftigung erreicht werden, vorausgesetzt die vorhandene Arbeitszeit würde gerecht aufgeteilt. Somit verkürze sich die Arbeitszeit auf 20 Stunden die Woche. Wir würden im Vergleich zur bisherigen Arbeitszeit mit 40 Stunden in der Woche also 20 Stunden Zeit gewinnen! Diese könnten wir nutzen, um uns selbst zu versorgen und zum Beispiel Dinge zu reparieren, wodurch deren Nutzungsdauer verlängert würde. Zudem müsste die Regionalökonomie gestärkt werden und Gemeinschaftsnutzungen würden die Nutzung von innovativen Produkten ermöglichen. Unser persönlicher Konsum würde deutlich gesenkt, sodass eine Reizüberflutung weniger stattfinden würde und wir somit glücklicher und stressfreier leben könnten. Trotz eines niedrigeren Einkommens wären wir also gut versorgt.
Und wie können wir selbst nun direkt aktiv werden? Leises Gemurmel legt sich über den immer stickiger werdenden Hörsaal. Die meisten Schüler/-innen schauen etwas zögerlich, bis die erste Wortmeldung die Diskussionsrunde eröffnet. Nun werden viele Ideen für Veränderungen und Aktivitäten in den Raum gestellt und Niko Paech geht immer wieder auf die Beiträge ein und ergänzt erstaunliche und teils erschreckende Fakten. Wenn zum Beispiel alle Autos, die in einem Jahr verschrottet werden, übereinander getürmt würden, dann ginge der Stapel von der Erdoberfläche bis zum Mond!
„Wenn wir unser Leben übersichtlich halten, ist das gut für die Umwelt und für uns stressfreier“, fasst der Umweltökonom zusammen. Wir selbst seien das beste Druckmittel, um die Macht der Industrie zu beschränken. Dabei sei es wichtig, dass wir nicht als Einzelkämpfer auftreten, sondern innerhalb eines sozialen Netzwerks gemeinsam agieren. Reparatur und andere Aktivitäten können so unsere Lebensqualität steigern. Denn wenn wir keine „Konsumsklaven“ mehr seien würden, können wir Freiheit und Unabhängigkeit von der Industrie erlangen.
Inzwischen hat sich die Luftqualität im Raum weiter verschlechtert, es ist warm und stickig. Gut gelegen kommt die bevorstehende kurze Pause. Durch die offene Tür strömt etwas frische Luft hinein, doch die Fenster bleiben geschlossen. Es gäbe irgendeinen technischen Fehler beim automatisierten Mechanismus. Einige Schüler/-innen schütteln den Kopf, was für ein Beispiel für unsere Abhängigkeit! In der kurzen Zeit lässt sich niemand finden, der die Vorrichtung richtig kennt oder gar reparieren könnte. Ein Umstand, der eine Kernherausforderung, die Aneignung des nötigen Know-Hows, gut beschreibt.
Nachdem sich alle wieder gesetzt haben und Ruhe eingekehrt ist, intensiviert Dr. Katharina Dutz, die an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg forscht und lehrt, die Auseinandersetzung mit der Reparatur, die für die Postwachstumsökonomie extrem wichtig ist. Sie erläutert Begriffe wie Ausbüßen, Kintsugi und Workarounds. Es folgt eine Frage, „Wie viele Gegenstände existieren in einem durchschnittlichen Haushalt?“ Im Jahr 1918 waren es noch 180 und 2019 tatsächlich 10 000! Nicht wenige Schuler/-innen tauschen verblüffte Blicke aus. Zuletzt zeigt Frau Dr. Dutz einige Beispiele, Repair-Cafés sowie Aktionen bei denen die Reparatur ins Bildungssystem integriert wird.
Nach insgesamt 120 Minuten voller stark präsentierter Ideen, Fakten, Überlegungen und Anregungen strömen die Schülerinnen und Schüler allmählich aus dem Hörsaal. Eine Schülerin erwähnt, sie verspüre Lust gleich aktiv zu werden, auszusortieren und zu reparieren, wobei sie sicher nicht die Einzige ist. Die Veranstaltung hat also erfolgreich zum Nachdenken und Handeln angeregt und auch die Inhalte werden die meisten sicherlich noch weiter beschäftigen.
Text: Lena Becker, Hamburg, 22.10.2019